Gedenkrede für Edith Badmann


Liebe Trauergäste,


man sagt, „Wenn auch alle müde werden, die Kraft einer Mutter reicht noch immer aus“. Und so lange hat sie gereicht, die Kraft eurer lieben Edith – eurer geliebten Mutter, Großmutter und guten Freundin, die wir heute hier gemeinsam verabschieden…


Edith, deine Liebsten sagen immer wieder über dich, was für eine bescheidene Frau du warst… Und hört man ganz genau hin, versteht man auch, warum. Denn in deiner Bescheidenheit lag gleichzeitig eine große Weisheit: Du hattest verstanden, dass die wahren Reichtümer eines Lebens in genau jenen Dingen liegen, die ohnehin kein Mensch jemals für Geld kaufen kann. Sie sind damit im wahrsten Sinne unbezahlbar.


Es sind Dinge wie eine liebevolle Beziehung zu einem anderen Menschen; eine Beziehung voll Achtung und Loyalität. Es sind auch Momente der Glückseligkeit in der Natur, wenn der Berg erwandert, die Skipiste gemeistert oder das Blaubeerkörbchen voll ist.


Es ist der kleine Stolz, wenn ein handgemachtes Werkstück vollendet ist und man weiß, dass es jemandem sehr nutzen wird, wie etwa ein paar kuschelige Wollhandschuhe einem geliebten Enkelkind. Es ist die Wärme im Herzen, die man spürt, wenn man merkt, wie sehr man gebraucht und geschätzt und von niemandem vergessen wird…


Dein größter Schatz, Edith, waren wohl unbestreitbar deine Kinder – eure gemeinsame Zeit und eure Liebe zueinander! Und niemand sollte denken, du musstest deine Liebe zwischen fünf Kindern aufteilen… Die Liebe einer Mutter teilt sich doch nicht! Sie vervielfältigt sich und reicht für jedes Kind, jeden Tag auf’s Neue.


Als Mutter, wie auch als Mensch, warst du ausgesprochen geduldig, gutherzig und hast für alle gegeben und getan, was du konntest. Und obwohl du in deiner stillen Zufriedenheit auch einsame Streifzüge durch die Natur liebtest, warst du genauso glücklich in einer heiteren Gesellschaft, spaßend und lachend.

 

Der Grundstein für deine traumhafte Persönlichkeit wurde – wie könnte es anders sein – in deiner Kindheit gelegt. Denn, geboren am 12. Mai 1929 in Seyde als eines von sechs Kindern deiner Eltern Frida und Klaus, lerntest du schon von Anfang an, was es hieß als Familie zusammenzustehen, sich zu unterstützen und alles zu teilen: Sorgen, damit sie kleiner – und Freuden, damit sie größer werden.


Mit deinen Geschwistern Erwin, Emma, Hugo, Gerald und Irmgard verstandest du dich ausgezeichnet; auch eure Eltern behandelten euch liebevoll. Und da Liebe das Herz weit macht, ganz gleich wie viel oder wenig Raum den Menschen umgibt, wart ihr als Familie zu acht auch in einem klitzekleinen Häuschen glücklich.


In eurem ländlichen, fast abgeschiedenen Seyde bekamt ihr den furchtbaren Krieg zum Glück nur aus der Ferne mit. So durftest du trotz allem eine behütete Kindheit erleben und auch unbehelligt die Schule besuchen. Nach dem Abschluss der achten Klasse verbrachtest du dein Pflichtjahr bei einem Bauern in Seyde, ehe du für fünf Jahre als Landwirtschaftsgehilfin in Röthenbach arbeiten gingst.


Und in diesen fünf Jahren passierten so einige entscheidende Dinge… Der Krieg endete, du wurdest erwachsen und – nun voll in der Blüte deiner Jugend stehend – dauerte es nicht lange, bis auch die jungen Herren im Dorfe auf deine strahlend hellen Augen, dein freundliches Lächeln und deine fröhliche Neugier auf’s Leben aufmerksam wurden.


Deine Wahl fiel auf Willi und wie es manchmal bei einer jungen Liebe so ist, ging alles sehr schnell… 1950 gabt ihr euch das Ja-Wort und die Kinder kamen, wie bestellt, hintereinanderweg: Noch 1950 erblickte eure Annerose das Licht der Welt, 1951 schenktet ihr ihr ein Schwesterchen – Hanna, 1952 kam der erste Sohn, Dietmar, 1954 – der Storch musste mal kurz verschnaufen – brachte er noch ein Brüderchen vorbei, nämlich Karl und 1956 komplettierte der kleine Ferdinand eure wunderbare Kinderschar.


Fünf Kinder so kurz hintereinander auf die Welt zu bringen – was für eine Leistung, was für ein Glück und was für eine Arbeit! Windeln waschen, Breichen kochen, Pflaster kleben, Tränen trocknen, Strümpfe stopfen, Mützen stricken und ganz ganz viele Küsschen verteilen.


Du schenktest deinen Kindern das Kostbarste, was sie sich von einer Mutter nur wünschen konnten: Deine Zuneigung und deine Zeit. Denn du brachtest deine Kleinen nicht in den Kindergarten; alles spielte sich zu Hause ab. Dieser quietschende, tobende, vergnügte Trubel liegt wahrscheinlich jenseits vieler Menschen Vorstellungskraft.

Man stelle sich heutzutage diesen Dialog vor: „Wie alt sind deine Kinder?“ – „0, 2, 4, 5 und 6!“ Während manche Menschen wohl schon beim bloßen Gedanken an diese Konstellation nervös werden, brachte sie dich, Edith, kein bisschen aus der Seelenruhe.


Die Kinderstreiche deiner Jungs verziehst du großmütig – nicht, dass du sie überhaupt übelgenommen hättest – und mit deinen Mädchen sangst du zweistimmig bei der Hausarbeit. So ging alles gleich leichter von der Hand – auch das Formen deiner von den Schleckermäulchen heiß begehrten Quarkkeulchen und Hefeklöße mit Heidelbeeren, welche ihr alle gemeinsam auf euren langen Waldspaziergängen pflücktet.


Zur Erholung gingst du an den Wochenenden gerne mit Willi zum Tanzen – auf dem Dorf gab es schließlich immer irgendwas zu feiern. Und es ist gut und wichtig, auch einmal jenseits aller Pflichten ausgelassen zu sein – aber eine Ehe kann man so nicht führen.


Die Liebe ist leider nicht das, wozu die Märchenbücher sie machen: Man heiratet sich und dann lebt man für immer glücklich weiter, leicht, unbeschwert und ohne jede Müh. Nein, nichts, was sich auf dieser Welt zu haben lohnt, fällt einem in den Schoß. Auch das Eheglück nicht. Nicht umsonst sagt man, dass die Ehe wie eine Brücke ist, an der man jeden Tag bauen muss, und zwar von beiden Seiten.


Und als du, Edith, merktest, dass du plötzlich alle Steine ganz allein schleppen musstest, hast du etwas sehr Mutiges getan, was viele Frauen in ihrem Leben nicht schaffen. Du hast dich getraut, dich von einem Menschen loszusagen, der dir nicht mehr gut tat; dich nicht mehr glücklich machte.


Und auch, wenn es im ersten Moment schmerzte, so war es doch die richtige Entscheidung. Denn schließlich hast du dich auch wieder aufgerappelt, bist – zusammen mit deinen Kindern – weiter deinen Weg gegangen und hast sie dir nicht nehmen lassen – die Schönheit deines geliebten Lebens.


***


Edith, du hattest deinen Kindern starke Wurzeln geschenkt. Und Kinder mit solch starken Wurzeln bekommen meistens – und so soll es sein – auch ganz schnell Flügel… Doch nur, weil deine Kleinen jetzt groß und aus dem Haus waren, wurde dir längst nicht langweilig.

Eine Zeitlang hast du noch in der Feinmechanik filigrane Teile, etwa für Uhren und Fotoapparate, gefertigt. Und dann hattest du plötzlich ganz viel Zeit zum Reisen.


Passenderweise verschoben sich auch genau da die Grenzen deiner erst noch kleinen Welt ins fast Unermessliche und so konntest du fortan, am liebsten in Begleitung deiner Kinder, deiner Schwester Erika oder deiner Nachbarin Hilde immer wieder die Alpenländer auskundschaften: Skitouren gehend in Bayern, oder wandernd in Österreich, Italien und der Schweiz.


Zurück zu Hause verbachtest du – wie schon dein Leben lang – die Zeit am liebsten draußen, Pilze suchend im Wald. Wie Rotkäppchen nach Blumen suchend, gingst du immer tiefer und tiefer hinein und keiner wusste, wo du warst – dafür wusstest du, auf welchen Lichtungen du die besten Pilze finden konntest.


Bei dir daheim kümmertest du dich gerne um deinen Garten, mit seinen Blumen, dem vielen Gemüse und Obst und natürlich um die Kaninchen. Zum verdienten Feierabend gab es dann Schlagerabende im Fernsehen oder einen Liebesroman – jeden Monat kamen neue Hefte in deinem Briefkasten an und du last sie alle.


Und sollte es für dich etwa keine neue Liebe geben…? Natürlich sollte es. Sie sollte von den kleinen Geschöpfen kommen, die noch wissen, was es heißt, bedingungslos zu lieben…von den Kindern, genauer gesagt, deinen Enkeln.

Deine Enkel Thomas, Jenny, Mario, Sandro, Richard und Michael sollten dich alle als fürsorgliche und großherzige Oma kennen- und schätzen lernen. Wie gerne verbrachten sie die Ferien bei dir. Dann unternahmst du mit ihnen – natürlich – Waldspaziergänge, kochtest und bukst für sie und unterhieltest sie mit Kartenspielen.


Das Wunderbare ist: Sogar alle deine 15 Urenkel und deine einzige Urenkelin durften dir, bei ihren regelmäßigen Besuchen, noch viel Freude bereiten. Und obwohl – oder gerade, weil – euch so viele Generationen trennten, würdigten und liebten sie dich ganz besonders.

Aber nicht nur die ganz Kleinen schwärmten von dir… Auch alle deine Schwiegerkinder waren dir sehr dankbar, dass du sie so herzlich, liebevoll und kompromisslos mit in die Familie mit aufgenommen hast. Als wärst du ihre eigene Mutter, hattest du auch für sie immer ein offenes Ohr.


Andere Menschen, die dir ans Herz wuchsen, und du natürlich ihnen – war die junge Familie Eckard, deine Vermieter und Nachbarn. Ihr verstandet euch ausgezeichnet, feiertet gemeinsam Geburtstage und unterstütztet euch, wo ihr nur konntet. Und für die Kinder Leandra und Tommy warst du wie eine eigene Oma. Es war ein harmonisches Zusammensein, das auch dir ausgesprochen guttat.

 

Und was wäre dein Leben ohne deine liebste Nachbarin und Freundin Hilde gewesen… Über Jahre hinweg gingt ihr jeden Nachmittag spazieren. Wieder daheim trankt ihr gemeinsam Kaffee und spieltet, ungelogen, stundenlang „Mensch ärgere dich nicht“.


Du, Edith, hast dich über dein Leben mit Sicherheit tatsächlich ganz und gar nicht geärgert. Als du vor vielen Jahren in deiner akkuraten und feinen Handschrift deinen Lebenslauf verfasstest, schriebst du am Ende: „Inzwischen werde ich, wenn ich es schaffe, im Mai 87 Jahre. Dafür muss man zufrieden und dankbar sein.“

Welch kluge Worte – welch weise Lebenseinstellung! Denn das größte Geschenk in der Geschichte eines Menschen bleibt wohl immer das Leben selbst. Und sieh, Edith, wie viele Jahre dir nach der Niederschrift dieses Zeugnisses noch immer gegeben wurden!


Selbstverständlich wurdest du irgendwann schwächer, verletzlicher und pflegebedürftig. Aber das liegt in der Sache der Natur. So sehr wir in unseren frühesten Jahren auf Schutz und Hilfe der Menschen angewiesen sind, die uns umgeben, so sind wir es auch meist in unseren letzten.


Und aus dieser Zeit machten du und deine Familie wahrlich das Beste. Du selbst nahmst zum Beispiel, solange du konntest, in deinem Pflegeheim alle Aktivitäten wahr, die dort angeboten wurden. Und deine Kinder und Schwiegerkinder kümmerten sich alle auf ihre Art um dich. Mit Annerose und Bertel führtest du viele, lange Telefonate; Karl und Sabine; Hanna und Manfred besuchten dich regelmäßig.


Und sie staunten über alle Maßen, dass du selbst noch auf deinem Sterbebett singen konntest, als wolltest du sagen: Sorgt euch nicht um mich. Noch bin ich da und noch hat mich die Lebensfreude nicht verlassen – und sie wird es auch nicht, bis ganz zum Schluss. Nur einen Tag später, am 10. Juni, bist du für immer eingeschlafen.



In deinem Zimmer stand in der letzten Zeit eine prächtige Orchidee, die dir immer so viel Freude machte, weil sie unaufhörlich blühte und nie zu vergehen schien. Und so, Edith, ist es doch auch mit dem Leben selbst. Auch, wenn sich mal eine Blüte schließt und sie wieder zurück zur Erde fällt, gibt es noch andere, die weiterblühen und gewiss auch schon eine Knospe, die sich bald öffnen und in all ihrer Pracht entfalten wird.

 

Und wie du weißt, ist sie tatsächlich da, diese sinnbildliche Knospe… Ja, du durftest es noch erfahren und verstehen, dass da in Sarahs Bauch schon dein Ur-Urenkelchen schlummert. Und geborgen wird es aufwachsen an dem Ort, der auch dir selbst am heiligsten war – der Familie. Denn sie ist, wo das Leben beginnt und die Liebe niemals endet.


Share by: